Als der Transport in Westerbork zur Abfahrt bereit ist, steckt das Mädchen vorsichtig ihren Kopf zwischen den Türen des Güterwagens hervor. Im Auftrag des Lagerkommandanten drehte der jüdische Häftling Rudolf Breslauer einen Film über den Transport an diesem Tag. Die Neugier des Mädchens wird durch die Kamera geweckt und Breslauer erhascht ihren Blick auf seinen Film. „Geh weg von der Tür, da bleibt dein Kopf hängen“, ruft ihre Mutter und das Mädchen verschwindet wieder im Wagen. Wenig später fährt der Zug nach Polen.
Geh weg von dieser Tür, dein Kopf wird dazwischen sein
Breslauers Filmbilder entstehen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Besonders hervorzuheben ist das Bild des jüdischen Mädchens, das vorsichtig den Kopf aus dem Zug streckt. Sieben Sekunden lang sieht man sie auf den Bildern nach draußen spähen. Sie ist jung, trägt ein weißes Kopftuch, aber niemand kennt ihren Namen. Ihr Porträt wurde vielfach verwendet und im Laufe der Jahre erhielt sie den Titel: „Das Mädchen mit dem Kopftuch“. Auch der Journalist Aad Wagenaar sieht das Bild. Er wird von dem Mädchen fasziniert und beschließt, sich auf die Suche nach ihrer wahren Identität zu machen. Wagenaar untersucht die im Film sichtbare Wagennummer und stellt fest, dass es sich entgegen der landläufigen Meinung nicht um einen Wagen mit Juden handelt. Das Mädchen gehört zu den 245 Sinti und Roma, die am 19. Mai von Westerbork nach Auschwitz deportiert wurden. Das Bild des unbekannten Mädchens lebt seit Jahren als Ikone der niederländischen Judenverfolgung weiter.
Ihr Name ist Settela Anna Maria Steinbach. Geboren unter einer Karawane am 23. Dezember 1934 in Buchten, Süd-Limburg. Ihr Vater war Händler und Geiger auf Jahrmärkten und Dorffesten. Am 16. Mai 1944 wurde sie in Eindhoven verhaftet und ihr im Lager Westerbork der Kopf geschoren. Sie schämt sich dafür und trägt deshalb das weiße Kopftuch. Settela starb im Alter von nur 9 Jahren in Auschwitz. Ohne zu wissen, dass sie auf seltsame Weise weiterleben wird.
Settela macht uns bewusst, dass im Zweiten Weltkrieg neben Juden auch Zigeuner verfolgt wurden.
Am 14. Mai 1944 erhielten die niederländischen Polizeikräfte einen Befehl aus Deutschland. „[…] eine zentrale Festnahme aller in den Niederlanden lebenden Personen, die das Merkmal eines Zigeuners aufweisen.“ Bei der landesweiten Razzia am 16. Mai wurden mehr als 550 Sinti und Roma festgenommen. Nicht alle entpuppten sich gemäß den Kriterien als Zigeuner und entkamen dem Tanz. Letztlich wurden 245 Zigeuner deportiert. Zu dieser Gruppe gehörten auch Settelas Mutter, zwei Bauern, zwei Schwestern, eine Tante, zwei Neffen und eine Nichte. Sie haben nicht überlebt. Settelas Vater starb kurz nach dem Krieg. Es ist unklar, wie viele Zigeuner in Europa verfolgt wurden. Schätzungen reichen von 200.000 bis 1,5 Millionen.